
Nr.424
Blick vom Brill in die
Faulenstrasse. 12.5.1913 an
Familie Sophie Martens, Otersen, Kreis
Verden. Knackstedt
& Näther Serie 581, No.72
KI-col.
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Gegenüberliegender
Blick von der 425 oben. Guter
Zuordnungspunkt: Der kleine
Dachabschluss-Kringel hier rechts auf der
linken Seite des Daches und entsprechend
auf der 425 am linken Rand, dort auf der
rechten Seite des Daches. Neuzeitlicherer Streetviewblick 2023/24.
Herzliche Grüsse vom
Schützenfest senden Grete Drewes, Hulda
Drewes, Frieda Hesse.
Vielleicht sind
Grete und Hulda (oder Hulda und Frieda oder
Grete und Frieda) die beiden Mädels auf dem
Bild!? Kann durchaus sein.
Vielleicht sind es auch Anna und Käti von
der 812, die sich dort gerade 'n Hut geholt
haben. Vielleicht trugen die beiden die
Hutbänder nach hinten, dann waren es
bestimmt so
Mädels, die, wenn keiner geguckt hat,
überall auf Baumrinden und auf Holzbänken
ihre Tags eingeritzt haben. Oder sie trugen
ihre Hutschleifen nicht links, wie
vielleicht generell
vorgesehen und üblich, sondern auf der
rechten Seite, dann waren sie "andersrum".
Tja, wer weiss... solche Geheimcodes gab es
damals bestimmt ebenso wie heute, die
damaligen kennen wir heute aber nicht mehr.
Und bestimmt galt: Je grösser oder je
kleiner der
Hut, desto ordinärer oder desto
schnöseliger, je nachdem. Oder "blaues
Hutband" eher so "Klavier- und
Tennisspielerin" und "rotes Hutband" eher so
"Streetgirl aus der Hintergasse".
Dann gab's vielleicht auch blaue Hutbänder
mit mehr oder weniger roten Streifen drin,
um Akzente zu setzen. All soetwas wissen wir
heute nicht mehr. Wir haben heutzutage
unsere
eigenen unterschwelligen Codes und Fetische,
die wir ja sogar verwenden, ohne es bewusst
zu tun, also eben ganz unterbewusst
anwenden, quasi als einen Charakterzug
ausleben,
den wir selbst gar nicht so auf dem Schirm
haben (die Leute von damals fragen uns:
Wieso denn auf dem Schirm?), dass
wir uns damit tatsächlich "outen", einer
bestimmten kulturellen
Gruppe zuzugehören, oder eben irgendetwas
Bestimmtes zu sein oder wenigstens sein zu
wollen.
Steckt man also mitten in einer Epoche als
Akteur selbst mit drin, fallen einem diese
Codes und Modeerscheinungen unter Umständen
gar nicht als solche auf, erst mit etwas
zeitlichem
und auch kulturellem Abstand kann man sie
als solche dann sicher erkennen und
auslesen, aber mit zu viel
zeitlichem Abstand wiederum geraten sie dann
in Vergessenheit.
Das alles wäre doch mal ein Forschungsgebiet
und was für Chronisten. Z.B.: Popper fahren
immer Nissan, oder so. Ein Lied über Popper
gibt es hier, der Song ist
aber, zugegeben,
jetzt nicht wirklich soo der kommende
Summer-Dancefloor-Hit.
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Nr.811
Faulenstrasse, Höhe
Buchdruckerei. 7.8.1904. Frau Emma
Lierz, Wilhelmshaven, Müllerstrasse 48
(I.links)
Verlag u. Photo: Louis Koch.
KI-col.
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Eine schöne
Anschlussperspektive an die 424 oben. Denn
die beiden Dachtürme, die wir auf der 424 in
der Mitte haben, die zeigen sich hier links.
Streetview etwa hier.
Beide Motive zunächst KI-nachcoloriert, dann
per Hand. Gegenüber meiner allerersten
Anfangszeit des Nachcolorierens mittels KI
habe ich jetzt - nun auch schon wieder seit
zwei Jahren - einen aufwendigeren Workflow,
der deutliche bessere Ergebnisse erzielt. Im
Prinzip besteht der aktuelle Workflow
schlicht aus allerlei unterschiedlichen
Farbversionen
und Mixturen, aus denen ich dann das
entgültige Bild zusammenpuzzle. Und
natürlich noch einige Einzelelemente
gänzlich per Hand ausmale / gestalte.
Für diese beiden schon sehr anspruchsvollen
Motive (da keine Grünpflanzen dabei),
benötigte ich etwa fünf Stunden pro Bild.
Hinzu kommt ja noch das eigentliche Scannen
und das
Putzen und Abgleichen, und nicht zuletzt das
Setzen in diese Website. Aber es lohnt sich,
wie ich meine! Diese beiden Bilder sind
farbig wirklich sehenswert, sie wirken
räumlicher
und sehr viel akzentuierter in ihrer
Struktur als nur in schwarzweiss. Und
natürlich ist auch mindestens 2K wichtig in
der Betrachtung, geringer sieht es nur nach
Thumbnail-Icon aus.
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Ein
hoher Detailreichtum entsteht natürlich
durch einen möglichst hohen Farbkontrast der
einzeln abgesetzten Elemente. Und ein Viel
an unterschiedlichen Farben geht dann halt
sehr wahrscheinlich auf Kosten der
originalen Situation, in der dann doch wohl
eher alles grau in grau gewesen ist, als so
zirkusbunt.
Hier haben wir ja teils die gleichen
Fassaden, sind aber je Bild unterschiedlich
eingefärbt. Oben ist z.B. das Eckhaus mit
dem Trapez-Turm rötlich-braun, während es
hier weiss-beige
ist. Das Beige entspricht wohl auch mehr der
originalen Farbgebung, denn so ist es ja
auch auf der 199 unten gesetzt, und dort ist
es eine Originalcolorierung aus jener Zeit.
Man kann sich das beim KI-Enfärben also
nicht aussuchen, es kommt ja auch auf die
Hell-Dunkel-Intensität der Vorlage an, die
die KI dann einfärben soll.
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Insgesamt
gilt es wie in der Schönheitschirugie: Wenn
man's sieht, dass was gemacht wurde, ist es
schon zu viel. Es muss gerade so aussehen,
als wäre nichts geliftet. Und natürlich
kann kein alter Mensch durch Chirugie wieder
aussehen wie mit 14. So auch beim Bild
nicht, es wird kein neues 8K-Digitalbild
daraus. Dann müsste man ganz anders ansetzen
und
alles müsste von Grund auf komplett neu
aufgebaut, also ganz neu inszeniert werden,
es müsste "neu insich wachsen" inklusive
"Wachstumspatina". Aber auch dann würde man
es
sicherlich wieder glasklar als eine neue
Inszenierung identifizieren. Zumindest zunächst.
Es ist wie mit der Wirklichkeit als solcher:
Damals hatte jener Baustil, der sog.
"Historismus"
durchaus seine Kritiker, im Sinne von "das
ist doch Kitsch", wir aber heute empfinden
jene Bauwerke als "echt alt", zumindest als
eben typisch Jugendstil, typisch Art-Deco
u.s.w.
Fazit: Bewusst künstliche Inszenierung wirkt
nur zum Zeitpunkt seiner Entstehung als
künstlich-gewollt, im Verlaufe der Zeit
jedoch normalisiert sich dann die
Wahrnehmung und
man hält das einst künstlich Hingesetzte für
in sich selbst gewachsene Strukturen. Und
stellt sie unter Denkmalschutz oder trauert
jener "Urbanität" nach.
Im Prinzip ist das Leben in einer
Einkaufsmeile in einer historischen
Innenstadt und das Drumherum auch nicht
"urbaner" als das Treiben in und an einem
modernen Großflughafen.
Andersherum gibt's das natürlich auch, dass
man zum Zeitpunkt der Erstellung eines
Objektes oder einer Mode denkt und empfindet
"just state of the art" und in späterer Zeit
dann
beurteilt: "Puh, watt 'ne Scheusslichkeit!!"
Das ist aber gefühlt deutlich seltener der
Fall, und selbst dann hat das Scheussliche
wieder schnell seine Fans in Form von: "Echt
kultig!"
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Der
ganze Zierrat-Fassadenstuck, scheinbar ohne
Funktion, könnte eben doch Funktion gehabt
haben, z.B. als Windbrecher, damit kein so
starker Zugwind entsteht, vor allem aber
als Schallwellenbrecher (diese
eierkartonförmigen Facetten und
Unterteilungen an den Fassaden und die
Spitzdächer über den Fenstern). Auch als
Wärmeableiter und Schatten-
erzeuger gegen Sommerhitze könnte das
fungiert haben. Ich frage mich da immer, ob
die Baumeister jener Zeit bewusst aus jenen
Gründen einer Funktion so gestaltet hatten,
oder ob sie rein intuitiv so gehandelt
hatten, oder weil sie es halt so gelernt
hatten, oder weil sie es so "im Gefühl"
(Feng Shui und Goldener Schnitt), hatten,
oder ob diese
Gestaltungselemente tatsächlich nur
funktionsloser Pomp und Kitsch waren als
Fetisch eines überkandidelten
"Bel-Etage-Bürgertums" (denn im Hinterhof
oder in Fabriken fand
sich ja nun nichts mehr davon).
Interessantes Stichwort dazu: Wohnpsychologie.
Diesbezüglich könnte ein Forschungsprojekt
solche Bauten und Strassenzüge mal im Modell
einem Schallwellen-, Windkanal und Wärmetest
unterziehen. Was ja hingegen redlich
bekannt ist, dass sich in solch
zusammenhängenden Strassenzügen, wenn es mal
weiträumiger brennt, ein Feuersturm mit
Kamineffekt entfachen kann. Daher baute man
die sog.
"Gartenstädte" in der Nachkriegszeit dann
immer mit diesen freistehenden Blöcken und
Solitären auf grünen Zwischenwiesen. Bis man
die Blöcke heute wieder in Styropor
einpackt,
was wieder brennt wie Zunder, wenn's mal
passiert. Und die Freiflächen zwischen den
Blöcken als reine "Deko- und Spielwiesen"
werden eher nicht als besonders urban
erlebt,
sondern eher als phantasieloses Suburbia.
Will man aber was grossflächig abreissen,
heisst es gleich wieder: "Unbedingt
erhalten, denn sowas wird heute gar nicht
mehr gebaut!"
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Nr.199
Faulenstrasse, Junge am
Bordstein.
22.12.1902. Mrs. John Demarest.
Box74. Pearl River Rockland
county New York. Amerika.
Zedler-1391.
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Bremen den 12ten Dezember
1902 Liebe Ami es freut mich so
dass Du Meta bei Dir haben kannst. Ich habe
schon oft gewünscht sie wäre hier bei uns.
Schicke mal eine
Karte wieder Mit den besten
Wünschen Deine Cousine Henny Barymann.
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Hier
blicken wir in die Gegenrichtung der beiden
Ansichten oben. Rechts die beiden
Zwiebeltürmchen und das Trapez-Turm-Eck
wiederum rechts der
Seitenstrasseneinmündung,
jenes Haus hier in beige gehalten, was dann
wohl der Originalfarbgebung entspricht.
Hinter dem linken Zwiebeltürmchen dann
gleich die höhere Spitze. Diese Elemente
finden wir
somit alle auf der 424 linksseitig.
Dieses Farbmotiv endet eigentlich in
Hüfthöhe des Jungen, zwecks Unterrand für
die Mitteilungen (denn 1902 durfte ja noch
nichts auf die Rückseiten geschrieben
werden).
Die sw-Version hat das durchgehende Motiv,
ist aber schmaler zugeschnitten. Hier habe
ich den Unterrand des sw-Motives angesetzt
und farblich angeglichen. Vor langer Zeit
habe
ich sogar mal die Farbversion als
durchgehendes Motiv gesehen, das dann wohl
später, also nach 1905 eben nocheinmal in
Farbe aufgelegt wurde, ist mir aber, im
Vergleich zur sw,
seitdem nicht mehr begegnet, kann also als
sehr selten gelten.
Streetview 2022/24 hier.
Wobei bemerkenswert ist, dass das grüne Haus
links alle Zeit überdauert hat und hier auf
dem Bild das rötliche Haus ist! Der Laden
darin war noch lange,
lange Zeit eine Traditionsdrogerie (wovon
noch die Seitenschilder zeugen sowie der
Brandmauerschriftzug an der Baulücke
"Drogerie Zinke" auf google-Globus-Schrägansicht) und
spricht heute, dem Ladenschild nach, als
Kiosk ausschliesslich arabische Kundschaft
an (ich kann es nicht lesen, denn ich kann
kein Arabisch).
Zinke war seinerzeit bekannt dafür, auch
einzelne Substanzen/Stoffe zu verkaufen
(siehe historisches Aussenschild
"Chemikalien"), so war ich damals, Ende der
80er,
als Jugendlicher dort und wollte mir
spezielle Stoffe bestellen, um selber
Spezialtreibstoff für die kleinen
Cox-Modellmotoren zu mixen.
Ich weiss nicht mehr, was genau das für Zeug
war (reines Methanol oder so), war auch
erstmal 'ne Anfrage, ob die das liefern
können (Abgabe von so Explosiv-Chemie war
auch
damals schon nur ab 18), ich erinnere mich
aber noch, dass mir dann die Bestellmenge zu
teuer war. Die Cox-Motoren sind - damals wie
heute - so oder so 'ne elendige und giftige
Sauerei, sodass ich mich dann in jener
Miniatur-Antriebsklasse lieber
ausschliesslich dem seinerzeit gerade immer
populärer werdenden Elektroantrieb widmete.
Die AA-NC-Akkus
(die gelben Sanyos) stiegen um das Jahr 1988
von 0,5 Ah erst auf 0,55, dann auf 0,6 Ah
und wurden sogar noch 2-3 Gramm leichter pro
Stück! Das war enormer Fortschritt damals!
Wer jetzt aber dennoch Lust bekommt, sich
für'n Cox was zu mischen, der findet hier die Anleitung. :D |
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